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sie auf seine Knie zu ziehen und zu öffnen. Sie war leer.
*
Er schlief lange, erwachte, bekam Injektionen, schlief
wieder, erwachte, fühlte sich kräftiger, nahm Anteil am
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Geschehen in seiner Umgebung, genoß die Ruhe, ein
Primi schob ihn mit dem Gleitwagen einen Rundhorizont
entlang, eine Projektionswand mit unmerklich wechseln-
den Landschaften, Gebirge, die Antarktis, die Sahara, die
Kraterfelder des Mondes, es sah aus, als blickte man von
einer Plattform herunter, von einem Weg, von einer
Brücke & Gefiel ihm ein Bild besonders gut, so gab er
Anweisung, den Wagen stehenzulassen, er schickte den
Primi fort und blickte lange und nachdenklich in die
Weite.
»Eines der stimmungsvollsten Motive!« Ein anderer
Gleitstuhl war, ohne daß er es bemerkt hatte, neben den
seinen geschoben worden. Eine Gestalt, bis zum Hals in
Decken vermummt, ein altes Gesicht, faltig, braunge-
fleckt, wirres, schütteres, weißes Haar, Mann oder Frau,
es war nicht zu erkennen, auch die heisere Stimme verriet
nichts. »Eine Rekonstruktion aus alten Farbaufnahmen,
vorzüglich gelungen. Aus solchen Wäldern sind wir einst
hervorgekrochen kaum zu glauben.«
Auf der Wiese standen jetzt zwei schlankbeinige brau-
ne Tiere. Gefiederte Wedel von Farnen neigten sich im
Wind.
»Ja, es ist sehr eindrucksvoll«, stimmte Daniel zu. Er
war nicht gerade erfreut über die Störung, doch er hatte
keinen Grund, abweisend zu sein.
»Haben Sie sich zur Transposition entschieden? Sie
sehen noch jung aus. Raten Sie, wie alt ich bin! 230 Jah-
re. Mir nützt keine Reaktivierung mehr. Ich habe mich
lange gesträubt, hatte Angst trotz aller Versicherungen.
Jetzt fühle ich mich prächtig. Darauf kommt es an: wie
man sich fühlt. Auf das Aussehen achtet man später nicht
mehr. Ich glaube, das ist ein Beweis dafür, daß man rei-
fer wird. Ja, auch mit zweihundert lernen Sie dazu. Seit
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dreißig Jahren habe ich es aufgegeben, mich reaktivieren
zu lassen. Daß sich ein paar junge Leute ekeln & egal.
Man ist nur noch selten nach AUSSEN gewandt. Man
verliert das Interesse am oberflächlichen Geschehen.
Was früher etwas bedeutet hat, wird bedeutungslos. Ein
Wandel in der Orientierung. Nicht mehr. Ein Reifungs-
prozeß, meine ich. Die energetische Welt ist ärmlich. In
Verbindung mit ihr von Freizügigkeit zu reden, ist lä-
cherlich, jetzt sehe ich es ein. Aktionen, Bewegungen,
Eingriffe, physikalische Prozesse, eingeengt durch eine
Unzahl von Gesetzen. Ein Gefängnis. Die Welt von AU-
SSEN ist ein Gefängnis.
Einst sind wir aus den Wäldern gekommen. Jetzt set-
zen wir zur nächsten Stufe an. Ich höre nicht mehr auf
die Eklektiker! Lange genug haben sie meine Entwick-
lung verzögert. Jetzt sehe ich das ein. Freilich, wer jung
ist, macht sich die Situation nicht klar. Man läßt sich re-
aktivieren, immer wieder. Daß auch das einmal zu Ende
ist, will man nicht wahrhaben, es liegt in weiter Ferne
so scheint es zunächst. Aber wenn es soweit ist es ist
nicht gleichgültig, glauben Sie mir. Man döst nicht dahin,
man verdämmert nicht. Man findet sich nicht ab, man
ergibt sich nicht in sein Schicksal. Zur nächsten Stufe zu
finden, darauf kommt es an.
Sie sagen, es sei unnatürlich. Ich glaube, es ist der
vorgezeichnete Weg. Wir dürfen glücklich sein, daß wir
ihn heute ein Stück weiter gehen dürfen. Sie sagen, wir
seien am Ende. Ich meine, daß wir erst am Anfang ste-
hen.«
»Ein interessanter Aspekt«, sagte Daniel, nur um nicht
stumm zu bleiben.
»Denken Sie darüber nach! Ich wünsche Ihnen einen
schönen Tag.« Der Alte schloß die Augen, ein Primi trat
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hinzu, schob den Wagen an. Dabei glitt die Decke ein
wenig tiefer hinunter, und Daniel sah, daß die Gestalt, die
in den Kissen saß, vom Kinn abwärts keinen menschli-
chen Körper mehr hatte.
Noch eine längere Schlafperiode, dann kam Daniel für
einige Minuten in eine Reanimationszelle. Frisch, körper-
lich und geistig gestärkt, stand er vor Solla, der ihn be-
friedigt musterte. »Sie haben sich glänzend erholt. Ihr
kleines Erlebnis hat uns sehr geholfen es hat uns an
Ihre schwache Stelle geführt. Ein paar falsch gebahnte
Leitungen, nichts weiter. Ich nehme an, daß Sie jetzt ide-
al im Gleichgewicht sind. Wir brauchen Sie nicht länger
festzuhalten. Hier ist Ihre Erkennungsmarke, hier Ihr Ei-
gentum.« Er deutete auf ein Regal, auf dem, mit einem
Etikett versehen, die Tasche lag.
Daniel bedankte sich. Er nahm die Tasche auf, drehte
sich wieder zu Solla um. »Darf ich eine Frage stellen?«
»Aber sicher!« Die grauen Haftschalen wandten sich
ihm zu.
»Wer bin ich?« fragte Daniel. »Woher komme ich?«
Solla trat zurück, griff nach einem Spray und zerstäub-
te eine kleine Dose Duftessenz. »Setzen Sie sich!« Er
selbst zog einen Sessel heran, wies auf einen andern. »Ih-
re Identität? Eine berechtigte Frage. War zu erwarten. Es
muß Ihnen ja auffallen, daß Ihre Erinnerung gelöscht ist.
Dafür, auch das haben Sie sicher überlegt, dürfte es einen
Grund geben.« Er nahm die Schachtel mit Erfrischungs-
kapseln vom Regal, bot sie Daniel an. Dieser lehnte ab.
»Gab es einen Grund, so könnte er jetzt auch noch be-
stehen. Dann würde ich mich weigern, etwas darüber zu
sagen vorausgesetzt, Ihre Vergangenheit wäre mir be-
kannt. Oder ich würde Ihnen eine falsche Identität geben.
Sie hätten keine Möglichkeit, herauszufinden, ob es die
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Wahrheit ist oder nicht. Sie hätten Zweifel. Es wäre ge-
nausogut, als hätte ich geschwiegen.«
»Ich würde mich erinnern«, wandte Daniel ein.
»Das wäre kein Beweis. Wir hätten Ihr Unterbewußt-
sein mit einer falschen Identität ausstatten können. Einige
Stichworte würden sie Ihnen gegenwärtig machen. Sie
würden sich an etwas erinnern, das Sie in Wirklichkeit
nie erlebt haben.«
»Dann ist meine Identität für immer verloren?«
»Aber nein!« Solla winkte beruhigend ab. »Eines Ta-
ges werden wir Sie selbst informieren, und das brauchen
wir ja nicht zu tun, um Ihnen etwas Falsches zu sagen.«
»Und wenn es doch nicht die Wahrheit ist?«
Solla stand auf, blickte auf die Uhr, als hätte er es
plötzlich eilig.
»Was bedeutet Wahrheit und Unwahrheit? Tatsache
ist, daß wir Sie mit jeder beliebigen Identität ausstatten
können. Wann ist diese Identität falsch? Wann ist sie
richtig? Was in Ihrem Gehirn als Vergangenheit gespei-
chert ist, bildet das Bezugssystem für Ihr heutiges Han-
deln. Es ist weder wahr noch falsch, sondern effektiv
oder nicht, und nur auf diese Kategorien kommt es an.
Wir sind Psychologen, Praktiker, keine Philosophen. Ei-
ne Identität kann einem Charakter oder einer Situation
angemessen sein oder nicht. Das ist für uns die richtige
oder die falsche Identität.«
»Aber«, sagte Daniel, der sich nun auch erhob, »ich
handle doch nach Erfahrungen, die aus meiner Vergan-
genheit stammen, wenn ich sie mir auch nicht vergegen-
wärtigen kann. Ist das nun die richtige oder die falsche
Vergangenheit?«
»Die richtige«, sagte Solla freundlich. Er legte Daniel
die Hand auf die Schulter und führte ihn zur Tür.
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Daniel benutzte den Lift, um sich an seinen Arbeits-
platz bringen zu lassen. Er traf Benedikt, der vor einem
Panel saß und ihn bat, sich neben ihn zu setzen. Er unter-
brach seine Arbeit nicht, tastete Befehle ein, studierte
eine Kurve auf dem Leuchtschirm, drückte wieder einige
Tasten. Winzige Lämpchen flimmerten, zeigten den
wechselnden Inhalt des Arbeitsspeichers an. Benedikt
warf noch einen Blick darauf, dann drehte er mit einer
schwungvollen Bewegung den Stuhl herum und lächelte
Daniel zu. Dieser setzte zu einer Erklärung an, doch Be-
nedikt sagte: »Lassen Sie nur es geht uns allen so: Von
Zeit zu Zeit kriegen uns die Psychofritzen zu fassen. Sind
Sie einigermaßen ungeschoren geblieben?«
Daniel nickte: »Mir fehlt nichts, ich fühle mich wohl!«
»Gut so«, meinte Benedikt. »Sie haben es überstan-
den. Man muß es nehmen, wie es kommt. Sie sind ja
noch jung. Manche kriegen das große Zittern, wenn man
sie holt. Sicher ist es nur Sentimentalität, aber man
hängt an seinem Körper. Mit jedem Organ, das ersetzt
wird, geht ein Stück davon verloren jedenfalls emp-
finden es viele so. Andererseits: Die Mediziner tun ihr
Bestes. Solange es Organersatz gibt, verzichten sie auf
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